Psychische Gewalt ist eine Form des Missbrauchs, die schwer zu erkennen sein kann, da sie keine sichtbaren Spuren hinterlässt.
Anders als körperliche Gewalt verletzt psychische Gewalt das Selbstwertgefühl, das Vertrauen und die emotionale Stabilität einer Person. In meiner Praxis als Psychotherapeutin begegne ich vielen Menschen, die lange Zeit nicht bemerkt haben, dass sie eigentlich Opfer solcher Gewalt sind oder waren. Daher möchte ich in diesem Beitrag aufzeigen, wie Sie Anzeichen von psychischer Gewalt erkennen und erste Schritte auf dem Weg zu einer gesunden Abgrenzung gehen können.
Was ist psychische Gewalt?
Psychische Gewalt, auch emotionale Gewalt genannt, umfasst eine Vielzahl von Verhaltensweisen, die darauf abzielen, die Kontrolle über eine andere Person zu erlangen oder diese zu manipulieren. Dies kann in verschiedenen Beziehungen vorkommen – in Partnerschaften, in der Familie, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz. Dazu gehören unter anderem:
- Manipulation und Gaslighting: Der Aggressor bringt den Betroffenen dazu, an seiner eigenen Wahrnehmung zu zweifeln, indem er Tatsachen verdreht oder Ereignisse leugnet.
- Abwertung und Beleidigungen: Der Betroffene wird ständig kritisiert oder beleidigt, um sein Selbstwertgefühl zu untergraben.
- Isolation: Der Aggressor schränkt die sozialen Kontakte des Betroffenen ein, um ihn abhängig zu machen.
- Emotionale Erpressung: Der Aggressor droht mit Konsequenzen, wie dem Entzug von Zuneigung oder Liebesentzug, Entnahme von Finanzen und sonst Abhängigkeiten, um den Betroffenenzu kontrollieren.
- Ignorieren und Schweigen: Der Aggressor verweigert dem Betroffenen Zuwendung oder spricht nicht mit ihm, um Macht auszuüben.
Anzeichen, dass Sie Opfer von psychischer Gewalt sein könnten
Es ist oft schwer zu erkennen, ob man selbst in einer emotional missbräuchlichen Situation ist. Hier sind einige Anzeichen, die Ihnen helfen können, Ihre Situation zu reflektieren:
- Ständiges Gefühl der Unsicherheit: Sie fühlen sich ständig ängstlich oder unsicher, wenn Sie mit der betreffenden Person interagieren, und haben das Gefühl, nichts richtig machen zu können. Sie versuchen ständig, mögliche Tretminen beim Aggressor zu vermeiden.
- Selbstzweifel und Schuldgefühle: Sie werden oft dazu gebracht, sich selbst für Probleme verantwortlich zu machen, selbst wenn Sie objektiv nichts falsch gemacht haben.
- Verlust des Selbstwertgefühls: Ihr Selbstvertrauen hat abgenommen, und Sie fühlen sich wertlos oder unfähig.
- Isolation: Sie haben weniger Kontakt zu Freunden oder Familie, weil die andere Person das missbilligt oder kontrolliert.
- Verwirrung über die eigene Wahrnehmung: Sie zweifeln zunehmend an Ihrer eigenen Wahrnehmung von Situationen und fragen sich, ob Sie übertreiben oder sich Dinge nur einbilden.
Was tun, wenn Sie Anzeichen von psychischer Gewalt erkennen?
Die Erkenntnis, dass man Opfer psychischer Gewalt ist, ist ein entscheidender erster Schritt. Doch was kann man danach tun? Hier sind einige Tipps, um sich zu schützen und Unterstützung zu finden:
- Dokumentation führen: Notieren Sie Vorfälle, bei denen Sie sich schlecht behandelt oder manipuliert fühlen. Dies kann später hilfreich sein, um Muster zu erkennen oder Beweise vorzulegen.
- Vertraute einweihen: Sprechen Sie mit einer vertrauenswürdigen Person über Ihre Situation. Außenstehende können oft einen klareren Blick darauf werfen, was vor sich geht, und Ihnen Rückhalt geben.
- Grenzen setzen: Lernen Sie, „Nein“ zu sagen und gesunde Grenzen zu ziehen. Dies kann schwierig sein, wenn man Angst vor der Reaktion des anderen hat, aber es ist ein wichtiger Schritt, um sich selbst zu schützen.
- Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Eine Psychotherapeutin oder ein Psychotherapeut kann Ihnen helfen, Ihre Erlebnisse zu reflektieren und Strategien zu entwickeln, um sich zu schützen. Eine Therapie kann Ihnen auch helfen, Ihre eigene Stärke wiederzufinden und emotionale Wunden zu heilen.
- Selbstfürsorge priorisieren: Gönnen Sie sich Pausen, in denen Sie Dinge tun, die Ihnen Freude bereiten und Kraft geben. Ob Hobbys, Sport oder Entspannungsübungen – all das stärkt Ihre Resilienz und hilft, die belastende Situation zu bewältigen
Fazit
Psychische Gewalt zu erkennen ist der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung. Oft ist es schwer, sich einzugestehen, dass man in einer missbräuchlichen Beziehung steckt. Doch Sie sind nicht allein. Es gibt Wege, sich Unterstützung zu holen und wieder Kontrolle über das eigene Leben zu gewinnen. Wenn Sie Anzeichen von psychischer Gewalt bei sich erkennen, warten Sie nicht zu lange, sondern suchen Sie Hilfe und gehen Sie Schritte in Richtung einer besseren, gesünderen Zukunft.
Zögern Sie nicht, sich an professionelle Stellen oder Beratungsstellen zu wenden. Sie haben es verdient, in einer Umgebung zu leben, die Ihre mentale Gesundheit und Ihr Wohlbefinden fördert.
Autorin:
Lic. phil. Yvonne Affolter
Arbeits- und Organisationspsychologin
Eidg. anerkannte Psychotherapeutin und Coach
NNPN Notfallpsychologin
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